Swiss Medtech Expo 365

Mein Account

Sprache

Showcase Swiss Medtech Expo 2021

Kathetertraining mit pulsierenden 3D-Druck-Herzen

Für die interventionellen Behandlung von angeborenen Herzfehlern von Kindern entwickelte die LMU München 3D-gedruckte Modelle von Kinderherzen mit Herzfehlern mithilfe der Mimics Innovation Suite von Materialise.

Um bei der interventionellen Behandlung von angeborenen Herzfehlern ein besonders realistisches, beliebig wiederholbares Kathetertraining zu ermöglichen, entwickelte die Abteilung für Kinderkardiologie des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München 3D-gedruckte Modelle von Kinderherzen mit Herzfehlern. Die neueste Generation kann sogar wie ein echtes Herz schlagen. Für die Entwicklung und Modifizierung der Herzmodelle nutze das Klinikteam das Softwarepaket Mimics Innovation Suite von Materialise.

Die Diagnose und interventionelle Behandlung angeborener Herzfehler bei Kindern mittels Kathetertechnik erfordert nicht nur eine detaillierte Kenntnis der Anatomie sowie der möglichen Probleme und nötigen Schritte zu ihrer Behebung, sondern insbesondere auch ein enormes Fingerspitzengefühl bei der Handhabung des Katheters. Das Instrument muss extrem feinfühlig durch kleinste Räume geführt werden, jeder Eingriff muss sicher sitzen. Bis heute gibt es jedoch keinen realistischen Simulationstrainingsaufbau – weder für Kinderherzen noch für angeborene Herzfehler. Anders als bei Erwachsenenherzen, wo es zumindest Virtual-Reality-Simulationssysteme für die Behebung typischer Erwachsenenkrankheiten gibt, findet die Aus- und Weiterbildung daher noch immer fast ausschließlich nach entsprechender Assistenz am Menschen statt.

Für Prof. Dr. med. Nikolaus Haas, Direktor der Abteilung für Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin des LMU Klinikums und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V., ist das ein Zustand, den es zu verbessern gilt: "Der bisherige Ansatz des Lehrlingsmodells ist nicht nur zeitaufwendig und von der Motivation des Ausbilders abhängig, sondern auch von den Krankheitsbildern, den Verfahren und der Technologie, die Auszubildenden während ihrer Ausbildungszeit präsentiert werden. Zudem werden Methoden und Instrumente ständig weiterentwickelt. Praktizierende Ärzte kommen dadurch immer wieder in die Verlegenheit, bestimmte Verfahren und neue Instrumente nicht so sicher zu beherrschen, wie es im Sinne maximaler Patientensicherheit wünschenswert wäre."

"Darüber hinaus", so Prof. Dr. Haas ergänzend, "werden wir gelegentlich nicht unserer Weiterbildungsfunktion gerecht, da junge, engagierte Kolleginnen und Kollegen nicht in ausreichender Weise die Möglichkeit haben, eigenständig Katheterbehandlungen durchzuführen, obwohl unsere Weiterbildungsrichtlinien dies eigentlich vorschreiben."

Auch bisher vereinzelt eingesetzte Behelfsobjekte wie Tierherzen oder selbstgebaute Szenarien aus Labormaterialien wie Schläuchen und Ballons sind problematisch und wenig zufriedenstellend. Dem Einsatz im Tierversuch muss die Ethikkommission zustimmen. Zudem sind die Organe in der Regel gesund und bieten daher nicht die Möglichkeit, die Interventionen für angeborene Herzfehler zu üben. Die selbstgebauten Szenarien sind dagegen für ein gutes Training viel zu unrealistisch und können nur einer ersten, groben Schulung dienen.

Vor diesem Hintergrund entstand am LMU Klinikum die Idee 3D-gedruckte Kinderherzen speziell für Trainingszwecke zu entwickeln. Durch digitale Anpassungen lassen sich so vielfälltige Modelle mit unterschiedlichen Herzfehlern erstellen. Solche an die Trainingsziele angepassten Nachbildungen bieten Ärzten die Möglichkeit, die Behandlung typischer Krankheitsbilder sowie neuer Instrumente und Verfahren immer wieder risikolos zu üben und so enorm an Sicherheit zu gewinnen. Da die Trainingsmodelle mehrfach nutzbar sind und nicht für jeden Herzfehler ein neuer Patientenscan nötig ist, besitzen sie langfristig einen Kostenvorteil gegenüber patientenspezifischen Darstellungen. Zugleich bewahren sie junge Patienten vor unnötigen Belastungen durch Strahlung und Beruhigungsmittel (Sedierung), da zur Herstellung neuer Modelle durch die Methode der digitalen Modellierung keine Patientenscans nötig sind.

Vom groben Modell zum schlagenden Kunstherz

Der Weg zu den pulsierenden Kinderherzmodellen führte über mehrere Modellgenerationen. Für die allerersten 3D-gedruckten Schulungsmodelle fügte das Klinikum-Team zunächst Silikonschläuche und -platten so zusammen, dass eine dreidimensionale vereinfachte Darstellung des Herzens mit seinen Hauptstrukturen entstand. "Von dieser Baugruppe erzeugten wir mittels Computertomographie einen 2D-Bildstapel und rekonstruierten daraus anschließend ein 3D-druckbares Modell", erläutert Carina Hopfner, verantwortliche Ingenieurin für 3D-Druck am LMU Klinikum, die Entstehungsgeschichte. "Für die Umwandlung der Bilddaten in ein 3D-Modell nutzten wir die  Mimics Innovation Suite von Materialise. Mit der Lösung konnten wir die Nachbildung anschließend auch noch virtuell vervollständigen. Unter anderem skalierten, glätteten und schlossen wir damit Oberflächendefekte." Schließlich wurde das vereinfachte Herzmodell additiv in einem Stück aus einem flexiblen, gewebeähnlichen Material auf Silikonbasis gefertigt.

Um realistischere Nachbildungen des menschlichen Herzens zu schaffen, rekonstruierte das Klinikteam die nächste Generation von Kinderherzmodellen aus anonymisierten CT- oder Magnetresonanztomographie-Scans (MRT) von echten Patienten. Dazu wurde kontrastverstärktes Blut in den 2D-Bildern markiert und dann in ein 3D-Volumen übersetzt, das die innere Oberfläche des Herzens beschreibt. Auch hier kam die Mimics Innovation Suite zum Einsatz. Durch die Erzeugung eines Mantels von gleichmäßiger Dicke um das Blutvolumen herum entstand ein wirklichkeitsnahes Herzmodell mit den typischen Hohlräumen und Gefäßstrukturen.

Carina Hopfner: "Das virtuelle Herz haben wir anschließend auf verschiedene Größen von Kinderherzen gebracht und mit verschiedenen angeborenen Fehlern versehen - darunter Löcher in der Herzscheidewand, Verengungen von Gefäßen oder verformte Strukturen. Dazu verwendeten wir vor allem Werkzeuge des Designmoduls in Materialise 3-matic. Mit der 3D-Druck-Software, die Teil der Mimics Innovation Suite ist, lassen sich die gesamte Einheit sowie einzelne Elemente des Modells skalieren und Oberflächen, Formen und die Wandstärke flexibel und hochpräzise in gewünschter Weise verändern." In Zusammenarbeit zwischen Medizinern und der Ingenieurin wurden die Eigenschaften der Modelle schrittweise immer realistischer gestaltet. Die Modelle des Herzens und der großen Gefäße wurden abschließend in dem flexiblen Material 3D-gedruckt, das auch für die Modelle der ersten Generation zum Einsatz kam.

Der letzte Schritt auf dem Weg zur Imitation eines echten menschlichen Herzens bestand schließlich darin, das künstliche Herz zum Schlagen zu bringen. Dazu integrierte das Klinikteam mit dem Designmodul in 3-matic als erstes eine Herzklappe in die vorhandenen statischen Modelle. Da Herzklappen bei CT-Untersuchungen nur ungenau erfasst werden können, hatten diese in den Modellen zunächst gefehlt. Die dann nochmals optimierten, 3D-gedruckten Herzdarstellungen verbanden die beteiligten Mitarbeiter anschließend mit einem geschlossenen, kreisförmigen, mit Wasser gefüllten System aus Silikonschläuchen. Eine anschließbare pulsatile Antriebseinheit sorgt in Schulungssituationen für die Simulation des Herzschlags.

Carina Hopfner: "Die Mimics Innovation Suite von Materialise war bei der Umsetzung des Projekts von ungeheurem Nutzen. Das Softwarepaket ist ohnehin schon die Standardlösung bei der Umwandlung medizinischer Bilddaten in 3D-druckbare Modelle, gerade auch bei der Erstellung patientenspezifischer Herzmodelle. Insbesondere die darin enthaltene 3-matic-Software hilft mit ihren zahlreichen automatisierten und teilautomatisierten Funktionen, vorhandene dreidimensionale Modelle auch auf der Netzdarstellungsebene effizient zu verändern. Die Möglichkeiten sind wirklich beeindruckend. Ohne die Materialise-Lösungen wäre die Realisierung der Herzmodelle sehr viel schwieriger geworden."

Positive Rückmeldungen nach Tests in realen klinischen Umgebungen

Sowohl die statischen als auch die pulsierenden Kinderherzmodelle mit den verschiedenen virtuell eingebauten Fehlbildungen wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts in der Ausbildungspraxis in verschiedenen realen klinischen Umgebungen in Deutschland und Österreich getestet – unter anderem am LMU Klinikum sowie im Pädiatrischen Herzzentrum der Medizinischen Universität Wien. Außerhalb Europas fanden ausgiebige Praxistests mit den statischen Nachbildungen am Ayder Referral Hospital der Universität Mekelle in Äthiopien statt. Mit seinen technologisch und personell schwierigen Ausbildungsbedingungen ist die Einrichtung ein guter Gradmesser für die universelle, einfache Nutzbarkeit der 3D-gedruckten Herzmodelle.

"Die Rückmeldungen aus den bisher durchgeführten Workshops für Studenten, Assistenzärzte und erfahrene Kinderkardiologen mit den 3D-gedruckten Herzmodellen waren durchweg positiv[J3] ", so Prof. Dr. Haas. "Die erfahrenen Akteure betonen unter anderem den realistischen Charakter der Nachbildungen einschließlich der haptischen und anatomischen Replikation sowie der prozeduralen Simulation der Eingriffe. Auch ich kann diese positive Erkenntnis bestätigen. Ganze Interventions-Teams gewinnen so unter wirklichkeitsnahen Bedingungen an Sicherheit bei der Katheteranwendung."

Univ.-Prof. Dr. Ina Michel-Behnke vom Pädiatrischen Herzzentrum Wien konkretisiert die Vorteile: "Wir schulten unsere Studenten und auch Postgraduierte, die nicht regelmäßig an Interventionen beteiligt sind, vor Ort in den Katheterlaboren anhand der 3D-Herzmodelle, und konnten eine schnelle Verbesserung der Handhabungsfähigkeiten sowie eine Verkürzung der Dauer des Eingriffs und der Bestrahlung feststellen. Die angehenden Kinderkardiologen fühlten sich bei ihren ersten Patientenfällen viel wohler, nachdem sie durch dieses Modul der interventionellen Ausbildung eingeführt worden waren, und waren sehr erleichtert, die Strahlendosis für ihre Patienten gering halten zu können."